IMHO: Warum die Work-Life-SLEEP-Balance nicht funktioniert

Ich bin kürzlich über einen Artikel auf LinkedIn gestolpert, der sich dem Thema „Work-Life-SLEEP-Balance“ widmet und unter anderem Bilder einiger erfolgreicher Sportler zeigt, die angeblich 9 bis 12 Stunden am Tag schlafen, um ihre maximale Leistungsfähigkeit zu erreichen. TLDR: „Schlaf ist die Basis für High Performance“ und warum wir Schlaf priorisieren sollten. Das hat mich zum Grübeln gebracht. Meine Gedanken dazu möchte ich jetzt mal hier zusammenfassen.

Die Work-Life-SLEEP-Balance

Das Problem am Konzept der „Work-Life-Balance“, oder von mir aus auch gerne „Work-Life-SLEEP-Balance“, bei der Schlaf priorisiert werden soll, ist der Faktor „Life“. Aber fangen wir mal vorne an.

Work

Wenn „Work“ bei Vollzeit mit gesetzlicher Mindestpause schon 9 Stunden (ohne Überstunden) ist, bleiben

24 – 9 = 15 Stunden.

Das sieht erst Mal nach viel aus. Nun wohnen die meisten Menschen nicht direkt auf der Arbeit. Also nehmen wir uns mal einen Pendelweg von etwa 1h hin und zurück an. So einige dürften hier durchaus noch mehr haben. Viel Glück euch damit. Bei der aktuellen Anbindung des ÖPNV hier bei mir, würde sich mein Arbeitsweg übrigens mindestens verdreifachen. Mal so als ein Grund, warum der Verzicht aufs Auto unrealistisch, wenn auch erstrebenswert ist. Dann bleiben

15 – 1 = 14 Stunden.

Life

Ich weiß ja nicht, wie es bei euch so ist, aber ich habe keine Angestellten, die für mich

  • einkaufen gehen,
  • kochen,
  • den Abwasch machen,
  • Wäsche waschen,
  • die Wohnung und ums Haus rum putzen,
  • etwas reparieren oder ersetzen, wenn es kaputt ist,
  • für mich zu Arzt/Zahnarzt/Apotheke/Frisör/Ämter usw. gehen (nach deren Kalender wir uns richten müssen!)
  • oder auch einfach nur meine Steuer machen.

Versteht mich nicht falsch. Das soll kein Gemecker sein. Ganz und gar nicht. Aber das sind Dinge, die fallen eben an und müssen gemacht werden, manchmal ohne Aufschub. Lasst uns dafür am Schnitt mal 4 Stunden am Tag abziehen.

14 – 4 = 10 Stunden.

Nun zählen zu den Punkten von oben, die ich stark vereinfacht unter „Haushalt und Unvermeidbares“ zusammen fassen würde, zumindest für mich auch andere Punkte zum Thema „Life“.

Sport

Während Berufssportler oder Menschen die körperlich hart Arbeiten ihre Dosis Sport (oder zumindest Bewegung) schon „bei der Arbeit“ ganz gut voll bekommen, sollten (eigentlich eher müssen) Bildschirmarbeiter, ihren (hoffentlich) „regelmäßigen Sport“ selbst organisieren.

Allein dafür geht am Tag sicher nochmal eine Stunde drauf. Und wenn wir ehrlich sind sogar mehr: Zumindest ich dusche nach dem Sport immer. Manch einer muss zum Fitnessstudio oder zum Verein pendeln, um sich sportlich zu betätigen. Dann wird die Stunde schon wieder knapp. Soll aber auch nur ein Durchschnitt sein.

10 – 1 = 9 Stunden.

Weiterbildung

Dieser Punkt dürfte bei anderen Berufen sicher anders sein. Aber ich arbeite in der IT. In keiner anderen Branche der Welt ist die Halbwertszeit von Wissen so kurz, wie bei uns. Und sie verkürzt sich weiter. Zum Lesen, Lernen und Experimentieren mit verschiedenen Technologien und Methoden braucht man Zeit. Vieles passiert auch am Wochenende, wo man sich eigentlich regenerieren sollte. Nehmen wir mal an, das wäre nicht so, dann geht da gut und gerne nochmal 2h am Tag für drauf. Dazu zähle ich allerdings auch generelles Nachrichten lesen, das Weltgeschehen verfolgen und eben fachliche Weiterbildung in meinem Gebiet.

9 – 2 = 7 Stunden.

Schlaf

Damit blieben, bei perfekter Organisation seines Tages noch rund 7 Stunden, um runter und zur Ruhe zu kommen, ins Bett zu gehen und zu schlafen. Reine Schlafzeit dürfte dabei dann etwa 6 Stunden sein.

Schlafzeit ist am Ende also das, was übrig bleibt. Hier würden die „Work-Life-SLEEP-Balance“ Kritiker vermutlich reingrätschen und anmahnen, dass der Schlaf ja priorisiert werden solle. Seriously? Merkt ihr das nicht selber? Bitte nicht falsch verstehen: Ich liebe schlafen! Ich weiß auch um den Wert und die Bedeutung von gutem Schlaf für Gesundheit und Regeneration. Alles richtig. Es ist nur nicht realistisch abbildbar.

Natürlich könnte man jetzt einwenden: „Aber das sind ja nur Durchschnittswerte. Du machst ja auch nicht alles jeden Tag in gleichem Umfang.“

Das stimmt! Aber ich habe auch ganz vieles noch gar nicht berücksichtigt.

Was dabei hinten runter fällt

Bei 6 Stunden Schlaf hab ich noch nicht:

  • Freunde oder Familie getroffen,
  • Zeit mit dem Partner verbracht,
  • bin irgendeinem Hobby nachgegangen,
  • hab mich ehrenamtlich engagiert oder an einem Gemeinde/- oder Vereinsleben bzw. „der Gesellschaft“ teilgenommen.

Diese Dinge finde ich jedoch auch sehr wichtig fürs eigene Seelenwohl und mentale Befinden. Somit sind sie im Grunde genommen unerlässlich, aber schwerer in Zahlen abzuschätzen.

Ihr ahnt aber schon, was jetzt passiert: Damit das überhaupt noch reinpasst, werden Sport, Weiterbildung und Schlaf kannibalisiert. Darunter leiden (wissentlich): Gesundheit und Wohlbefinden, als auch die Karrierechancen, damit man am Ende vielleicht irgendwie noch auf seine 5-6h Stunden Schlaf kommt. Am Wochenende durchaus auch schon mal mehr – zumindest wenn man keine kleinen Kinder hat.

Schlaf priorisieren?

Dazu passt dann auch sehr gut, die Studienergebnisse die Zeigen, dass wir Deutschen immer dicker werden. Mindestens mangelnder Sport resultiert sehr mittelbar aus einem Mangel an Zeit. Einen großen Einfluss hat natürlich auch unsere Ernährung. Ganz klar. Frisch und gesund zu kochen dauert aber oft auch länger. Womit wir wieder bei der Zeit sind und „der Currywurst“ unterwegs, die halt einfach schneller geht. Und die Tatsache, dass wir das ja im Prinzip wissen, aber nicht aufgelöst bekommen, stresst uns zusätzlich, was nicht gerade zu unserer mentalen Gesundheit beiträgt.

Es geht also nicht darum: Wollen wir mehr schlafen? Sondern es geht darum, dass wir bereits Sport, Ernährung, Weiterbildung, soziale Kontakte und eben auch Schlaf versuchen müssen in einen Einklang zu bringen, bei dem wir nicht an einem der Enden komplett verkümmern.

Würde ich 10 Stunden am Tag schlafen wollen würde das bedeuten, dass ich

  • keinen Hobbies nachgehe,
  • kaum Zeit mit der Familie oder Freunden verbringe,,
  • kaum Weiterbildung betreibe
  • Angestellte bräuchte, die sich um meinen Haushalt kümmern,
  • viel Fast-Food bzw. Fertiggerichte esse und gleichzeitig
  • die Bewegung vernachlässige.

Alles davon fördert Stress und das Gefühl in einem Hamsterrad zu sein, in dem es nur darum geht zu Arbeiten und sich selbst komplett zurück zu stellen. Ziemlich trostlos.

Und nichts anderes sehe ich, wenn ich die zahllosen Berichte darüber lese, dass wir immer dicker werden. Denn nein: Es ist eben nicht einfach „Faulheit“.

Einen Ausweg finden

Jetzt könnte man argumentieren: „dann reduzier doch deine Arbeitszeit“. Sowas ist bei der aktuellen Preisdynamik mit rapide steigenden Lebenshaltungskosten / Mieten / Steuerlast / Inflationsentwicklung usw. weder für mich, noch für viele andere realisierbar. Hier geht es nicht darum, die Sparrate zu reduzieren oder eine, anstatt zwei Wochen in den Urlaub zu gehen, sondern für viele ums nackte Überleben.

Das ist genau diese ungreifbare Angst vorm Abstieg die viele umtreibt. Einige sind gezwungen Zweit- und Drittjobs anzunehmen, um über die Runden zu kommen. Da wundert mich der Anstieg an Burnouts gar nicht. Auch wenn er im Grunde genommen eher auf Angst zurückzuführen ist, wie das Interview mit Prof. Rosa nahelegt. Ich sehe dennoch Zusammenhänge.

Fehlt da nicht noch vieles?!

Hier ist noch nicht berücksichtigt, dass Singles sich eben nicht Aufgaben teilen können, sondern alles alleine bewältigen müssen. Dafür haben sie aber das Glück, sich die Kosten wenigstens mit niemandem Teilen zu können.

Hier ist auch nicht berücksichtigt, dass man möglicherweise auch noch ein oder mehrere Kinder hat. Mit Hausaufgaben, unterschiedlichen Interessen und Hobbies oder dem Bedürfnis einfach nur Zeit mit Mama und Papa zu verbringen (lesen, spielen, kuscheln, sooo schön <3).

Hier ist auch berücksichtigt, dass man vielleicht Angehörige oder Eltern pflegen muss, die dazu nicht mehr selbst in der Lage sind.

Jedes der oberen Bereiche verschärft den Zeitdruck individuell so massiv und weitreichend, dass es dem Thema eine komplett neue Dimension verleiht. Das führt hier aber zu weit.

Nochmal, das soll kein Gemecker sein! Im Gegenteil. Es ist auch nichts, dass der Staat irgendwie „regeln“ kann. Es ist eine gesellschaftliche Entwicklung, bei der wir als Gesellschaft uns überlegen müssen, wie wir mit dem Problem umgehen und praktikable Lösungen finden können.

Weniger Arbeiten vs. Fachkräftemangel

Eine 42h Woche, wie sie einige jetzt mal wieder fordern, um „dem Fachkräftemangel“ zu begegnen, ist meiner Ansicht nach aus allen oben genannten und vielen ungenannten Gründen einfach nur absurd unrealistisch.

Im Gegenteil, sie dürfte das Problem noch verschärfen. Die Debatte berücksichtigt auch nicht, das viele Fachkräfte, insbesondere in der Pflege einfach aufgehört haben, weil sie nicht mehr bereit waren zu so desaströsen Konditionen in kaputt gesparten Systemen einen Job zu machen, den sie eigentlich sehr gerne gemacht haben. Es geht irgendwann einfach nicht mehr. Ob eine Erhöhung der Regelarbeitszeit die Motivation derer, die noch in dem Job verblieben sind, erhöht würde ich mal zu bezweifeln wagen. Genauso das für kommende Generationen eine Ausbildung in diesem Beruf damit attraktiver wird. D.h. nicht nur gehen viele Boomer in Rente und es kommen wenige nach. Auch Menschen, die es durchaus noch machen wollen würden hören damit auf. Ähnlich sieht es z.B. auch bei Lehrern aus. Aber wir schweifen ab.

Lange Rede kurzer Sinn. Damit wird alles nur noch schlimmer. Mehr Leute werden krank und/oder einfach aufhören zu arbeiten. Die Arbeitslast steigt für die übrig gebliebenen dann noch mehr usw. – Teufelskreis. Was wir ja aber wollen sind mehr Menschen die Arbeiten und nicht weniger.

Wie können wir Druck vom Kessel nehmen?

Ich bin der Ansicht wir brauchen das Gegenteil: Entweder reduzieren wir die tägliche Regelarbeitszeit oder wir müssen Themen, von denen Arbeitgeber auch profitieren zumindest anteilig zur Arbeitszeit machen.

Menschen die sich im Rahmen ihrer regulären Tätigkeit nicht ausreichend bewegen können, sollten einen Teil ihrer Arbeitszeit dafür aufwenden können (nicht müssen!). Davon profitiert nicht nur der Einzelne, sondern auch der Arbeitgeber.

Man ist nicht nur weniger krank sondern auch die Arbeitsqualität steigt, weil man einfach ausgeruhter, fitter und damit fokussierter ist. Man bekommt auch in weniger Zeit potenziell mehr erledigt dann. Ganz nebenbei nimmt es ja auch noch Druck von den Menschen (mentale Gesundheit) ab, wenn sie sich weniger damit stressen müssen, dass sie es mal wieder nicht zum Sport geschafft haben. Ein Win-Win Szenario. Solche Modelle könnten auch staatlich unterstützt werden, da der Staat durch weniger Krankschreibungen ebenfalls finanziell entlastet würde. Win-Win-Win.

Ebenso verhält es sich meiner Ansicht nach auch mit dem Thema kontinuierlicher Weiterbildung. Die dürfte allerdings berufsunabhängig wertvoll sein. Auch davon profitiert der Arbeitgeber ebenfalls, durch bessere Ideen, neue Ansätze / Verfahren / Methoden bei der täglichen Arbeit. Gesteigerte Produktivität erhöht die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland und ist somit auch für den Staat ein Gewinn. Win-Win-Win.

Wenn man sich die Statistiken anschaut und sieht, dass viele bei ihrer täglichen Arbeit in der Realität ohnehin nur rund 4,5 Stunden „produktiv und hochkonzentriert“ arbeiten, stellt sich mir die Frage was wir sinnvolles mit der Zeit anstellen können, die wir ohnehin unsinnig verballern.

Ein ganz andere Punkt ist das Loslösen von der Zeit = Produktivität Mentalität, die leider dafür sorgt dass unsinnige Geschäftigkeit noch als echter wünschenswerter Mehrwert angesehen wird: „Schaut nur wie lange die jeden Tag Arbeitet!“ – Was bringt es das einem, die Arbeit, für die man stumpf und stupide gut und gerne 8h brauchen würde in 3h mit smarten, innovativen Kniffen zu erledigen? Man hat dann einfach weitere 5h übrig. Dafür müssen wir nicht nur technologisch deutliche Schritte voran machen (Digitalisierung, Automatisierung, KI, Assistenzsysteme, …), sondern die neuen Technologien auch konsequent in der Breite nutzbar machen und nutzen. Hier kann auch der Staat fördern oder muss zu erst mal die Voaussetzungen schaffen (Glasfaser Ausbau, Netzabdeckung, etc.).

Vielleicht sehe ich einige Sachen zu kritisch. Vielleicht übersehe ich auch einige Aspekte. Gebt mir gerne Feedback hier oder anderswo zum Thema. Wie seht ihr das?

Robert Károly Verfasst von:

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